Anwesend. Aufgehoben. Life signs from Asylum
... Thikwa ist, indem es als Vorgang extrem unangenehm und deshalb als Kunstvorgang angenehm unangenehm ist, ein Glücksfall der Theaterkunst. Es ist ein Theater, das den Zuschauer in jeder erlebten Minute als unpräparierten Zuschauer im Stich lässt und dann neu erfindet, fast möchte ich sagen: ausspuckt – so, als zupfe man sich im Spiegel das eigene Gesicht neu zurecht, weil es einem plötzlich fremd geworden ist. ... Jeder Mensch, schrieb Heimito von Doderer, sei in Bezug auf den anderen ein Jenseits im Diesseits, "das über-astronomische Maß dieser Entfernung darf nie schwinden". Ich hatte vergessen, dass es sie noch gibt, diese jenseitige Kunst. ...
Presenting some of the most intelligent texts, being kept in the fund of The Prinzhorn Collection, Berlin based writer and director Gerd Hartmann has turned stories of the inmates of insane asylums from the early 20th century into tableaus of poetic and vivid power. Awardwinning author Martin Kluger recommended "Presence. Annuled. - Life signs from Asylum" in Der Tagesspiegel: "Theatre as an adventure, beyond all discourses, neither a moral nor a disabusing establishment, but a real axe for the frozen ice inside us".
Anwesend, also lebend, aber trotzdem aufgehoben, also nicht mehr als Subjekt präsent, das waren die Insassen der Irrenanstalten des Kaiserreichs. Weggesperrt aber anwesend, hinter dicken Anstaltsmauern aufgehoben. Viele Doppelsinne. In der Sammlung Prinzhorn (Heidelberg) sind die kreativen Lebensäußerungen dieser Verwahrten des beginnenden 20. Jahrhunderts konserviert: Bilder, Zeichnungen, Objekte, Texte, zum größten Teil ausgeführt mit minimalsten Mitteln. Das Stück nimmt einzelne, willkürlich ausgewählte Texte und Bildergeschichten zum Ausgangspunkt einer Phantasiereise durch innere Welten. Dabei stehen keine durchpsychologisierten Personen mit ihren Biografien und Lebensumständen auf der Bühne. Die Figuren sind vielmehr Platzhalter, die Wünsche und Ideen vom Sein und Leben auf eine grundsätzliche Ebene heben. Da will eine Frau mit ihren Töchtern nicht mehr länger auf dem kargen Mond bleiben und reitet auf Delphinen in ihr irdisches Paradies. Da schafft sich Gottvater Aff einen neuen Menschen nach seinem tumben Ebenbild. Und die Türkei ist der Angelpunkt für die Erklärung der Welt. Die unwirtliche Wirklichkeit und die sozialen Bedingungen des verwahrten Lebens in den Vorkriegs-Irrenanstalten wird nicht auf einer historischen Ebene untersucht. Wobei Lebensbedingungen und Lebensäußerungen sich immer bedingen. Ebenso wenig geht es um eine Darstellung schizophrener Persönlichkeiten. Wir fliegen vielmehr mit den Geschichten und Gedanken der Menschen, die diese Texte geschrieben haben in manchmal ebenso unwirtliche Welten, aber auch in böse, abstruse, lustige Märchen. Und manchmal kann der Text gar nicht erst abheben, so gefangen ist das Subjekt in sich selbst.
Premiere: 8 March 2007
On Tour: Festival ProTeatr 2010, Moscow; Festival Theaterunruhen 2010, Warsaw; Festival Is doch normal, 2010, Oldenburg;